Meine Pilgerreise auf dem Camino Francés

Jetzt bin ich zurück von meiner sechswöchigen Pilgerreise auf dem Camino Francés in Spanien. Ich bin von Sanint-Jan-Pied-de-Port bis nach Santiago de Compostela gelaufen und dann noch von Santiago nach Fisterra (ans Ende der Welt) und von Fisterra nach Muxia. Ich bin durch die spanischen Regionen Navarra, Rioja, Kastilien-León und Galizien gelaufen. Ich bin im schnitt täglich 28 km gelaufen und alles, was ich in dieser Zeit gebraucht habe, habe ich im Rucksack mit mir getragen. Bis auf wenige Ausnahmen habe ich in den üblichen Pilgerherbergen, in Schlafsälen mit Stockbetten übernachtet. Sechs Wochen jeden Tag ein anderer Ort, ein anderes Bett, neue Menschen, andere Landschaft. Und was hat mir das ganze jetzt gebracht? Was ist mein momentanes Fazit dieser Pilgerreise? Was habe ich erwartet und, haben sich meine Erwartungen erfüllt?

In erster Linie habe ich wohl eine Pause von meinem Leben gebraucht. Eine Pause und Abstand. Von meiner Familie, meinen gescheiterten Berufsplänen, meinen Verpflichtungen. Ich wollte mal raus aus allem. Mir keine Sorgen und Gedanken mehr machen um falsche Entscheidungen oder vernachlässigte Pflichten. Mich nicht mehr aufreiben an Dingen, auf die ich keinen Einfluss habe und keine Angst mehr haben vor Ereignissen, die passieren könnten. Einfach laufen. Solange ich will. Jeden Tag mein eigenes Ziel. Jeden Tag mich nur um mich kümmern und meine eigenen Entscheidungen treffen. Bis wohin laufe ich? Wo schlafe ich? Was esse ich? Esse ich?

Und auch, allein klarkommen. Allein ein Ziel wählen, es schaffen dort anzukommen, sich zu organisieren, zu kommunizieren. Neue Menschen treffen. Allein zu sein. Gerade dieses allein Reisen, stellt Frauen noch einmal vor ganz andere Herausforderungen als Männer. Das bewegen im öffentlichen Raum. Es als selbstverständlich zu empfinden, morgens in eine Bar mit nur Männern zu kommen, sich sein Frühstück zu bestellen und es allein zu genießen. Oder auch ein Abendessen, allein im Restaurant. Genuss ist da erstmal zweitrangig. Wenn man es als Frau schafft, es als selbstverständlich zu empfinden ist schon viel gewonnen. Die meisten Frauen werden wissen, wovon ich spreche.

Oft ging es schon vor Sonnenaufgang los.

Nach Sanint-Jan-Pied-de-Port bin ich mit dem Zug gereist. Das geht super. Die erste Übernachtung hatte ich gebucht, danach bin ich meistens ohne Reservierung gelaufen und das hat auch super funktioniert. In der Herberge in Sant-Jan saßen dann zum Abendessen gleich schon alle Pilger an einem Tisch. Menschen aus Kanada, Belgien, Niederladen, Dänemark. Im Mehrbettzimmer habe ich auf dem oberen Etagenbett super geschlafen. Dazu beigetragen haben sicher geniale Ohrstöpsel, die ich mir auf Empfehlung einer Freundin gekauft habe. Sie waren eines der besten Dinge, die ich dabeihatte. Kaum steckten Sie in meinen Ohren hatte ich akustischen Frieden und somit ruhige Nächte.

Schnell gelangt man auf dem Camino in eine Pilgerroutine. Morgens früh starten (lange schlafen kann man so wie so nicht). Schnell und möglichst leise packen. Loslaufen. Nach den ersten Kilometern in die erste Bar zum Frühstücken. Weiterlaufen. Nochmal Pause. Irgendwann am Mittag am Ziel ankommen. In der Herberge einchecken, Bett beziehen, Duschen, Waschen, sich Etwas umschauen, Essen, schlafen gehen, …., usw. Jeden Morgen eine andere Landschaft, jeden Morgen andere Stimmung. Am nächsten Tag kommt dir dieser Morgen schon vor, als lägen Wochen dazwischen. Ganz andere Landschaft, ganz andere Stimmung, dazwischen viel erlebt. Leute getroffen, Gespräche geführt, gelacht, Nachgedacht. Schmerzen in den Füßen oder im Rücken, … .

Viele tolle Sonnenaufgänge.

Menschen trifft man viele und überall auf dem Camino Frances. In den Herbergen, in den Bars, auf dem Weg. Es ist an dir, ob du ins Gespräch kommst oder nicht. Man kann allein gehen oder in Gesellschaft. Schon nach kurzer Zeit hatte ich ein kleine Niederländisch-/Deutsche-Camino Familie. Wir sind zusammen gegangen und haben uns am Abend in einer Herberge getroffen. Nach einer Weile ging es wieder auseinander. Unterschiedliche Pläne und Geschwindigkeiten, doch wir sind in Verbindung geblieben. Dann gab es andere Begegnungen. Immer wieder Neue. Mal nur für einen kleinen Smalltalk, mal für ein wirklich tiefes Gespräch. Manche hat man immer wieder getroffen, andre nur für einen Abend. Die schönsten Abende und Gespräche hatte ich oft, wenn ich gar nicht damit gerechnet habe. Und auch allein bin ich ein paar Tage gegangen.

An zu Hause habe ich sehr wenig gedacht. Man ist in Gedanken mit vielem beschäftigt. Vieles dreht sich einfach um den Weg. Wo gehe ich hin? Wann kommt die nächste Bar? In welche Herberge gehe ich? Was esse ich? Ich muss mal was trinken. Oh hallo, die kenne ich doch, … . Und dann habe ich mir Gedanken gemacht um Dinge, die gar nicht meine Probleme von zu Hause sind. Teilweise Dinge und Menschen die weiter zurückliegen. Ich habe mir auch sehr viele Gedanken zum Glauben gemacht. Der Kirche. Der Symbolik. … . Es war oft schön und leicht, einfach im Moment zu leben, nur seinen Rucksack bei sich zu tragen und sich um fast nichts kümmern zu müssen. Das Programm ist vorgegeben (laufen) und ansonsten kann man alles einfach auf sich zukommen lassen.

Am Ende war alles schön und leicht.

Natürlich war nicht alles schön. Ich hatte längere Zeit Probleme mit Blasen. Ich habe mir auf einer Etappe den Magen verdorben und konnte auch danach drei Tage kaum etwas Essen. Es hat geregnet, einmal den ganzen Tag und so viel, dass die Wege zu Flüssen geworden sind, Unterführungen nicht genutzt werden konnten und meine ansonsten Wasserdichten Wanderstiefeln von innen naß wurden, da das Wasser von oben eindrang.  

Aber dann, dass „Bonus-Stück“ von Santiago nach Fisterra, ans Ende der Welt, und dann weiter an der Küste nach Muxia, waren noch einmal besonders schön. Tolle Landschaft, schöne Herbergen, schöne Begegnungen. Alles hat sich leicht angefühlt und wirklich nach Urlaub. Selbst im Flugzeug, auf dem Weg nach Hause, hatte ich noch eine nette und lustige Pilgerbekanntschaft.

Und jetzt? Jetzt bin ich wieder zu Hause. Seit fast zwei Wochen. „Bist du irgendwie erleuchtet?“ wurde ich gefragt. Was hat mir diese Pilgerreise gebracht? Die Erwartungen werden teilweise schon sehr hochgeschraubt. Gerade unter den Pilgern. „Du wirst dich verändern“, „Lebensverändernde Erfahrung“, „Einmal auf dem Weg wirst du Weinen“, „Die Reise fängt erst zu Hause richtig an.“ … . Teilweise ist mir das schon etwas auf die Nerven gegangen. Eine Pilgerfreundin erzählte mir am Ende der Reise, sie hatte einen Tag bevor Sie in Santiago ankam ein Erlebnis, dass sie so tief ergriffen und verändert hätte, dass sich alles was sie von der Reise erwartet hatte erfüllt hätte. Sie hätte eigentlich sofort nach Hause fahren können. Nach Santiago ist sie dann nur noch, weil es so geplant war. Ich gebe zu, auf so eine Erfahrung bin ich etwas neidisch. Denn ich hatte keine solche. Auch geweint habe ich nicht. Für mich kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nur sagen, ich bin leichter nach Hause gekommen. Leichter an Kilos, aber vor allem leichter im Kopf und im Herzen. Im nächsten Jahr will ich wieder los.

Illustration von Andrea Price

Ich wünsche allen auf dem Weg durchs Leben einen möglichst leichten Rucksack.
Buen Camino!